Der Medienkunst-Zirkus

Eine neue Generation von Code-Künstlern trifft sich in Belgrad

Sie bezeichnen sich selber nicht als Künstler. Traditionelle Auktionshäuser und die meisten Museen ignorieren sie. Sie machen Kunst mit Computern und die Regeln des Kunstmarktes sind ihnen egal. Einer von ihnen könnte aber der nächste Jeff Koons sein. Beim Resonate Festival in Belgrad hat sich letzte Woche eine neue Generation von Code-Künstler versammelt.

Belgrad hat man uns als das neue Berlin angekündigt. Berlins Stadtoberhaupt Klaus Wowereit suchte schon immer die Nähe zur kulturellen Elite seiner Stadt. Dragan Đilas, Belgrads Bürgermeister bis Ende 2013, ist ein Medienmogul. Er hat Big Brother nach Serbien geholt, Massenunterhaltung aus der Konserve recycelt. Immerhin kommen die Aktionskünstler Marina Abramović und Milica Tomic aus Belgrad. Das Museum für Zeitgenössische Kunst besitzt Werke von Salvador Dalí, Andy Warhol, George Maciunas und Hannah Wilke. Bei seiner Eröffnung 1958 war es eines der ersten staatlichen Museen für moderne Kunst in Europa. 2007 hat man es dann für Renovierungsarbeiten geschlossen. Seitdem zerfällt das Gebäude in sich. Serbien wurde von der Finanzkrise hart getroffen. Es ist kein öffentliches Geld mehr da für Kunst.

Belgrad könnte jedoch das „Arm, aber sexy“-Versprechen einlösen, das Wowereit vor 10 Jahren den Berliner Kreativen gab. Eine neue Generation von Künstlern versucht die Stadt künstlerisch nach vorne zu bringen. Günstige Mieten machen die serbische Hauptstadt zu einem Hort für junge Kulturschaffende. Die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Belgrad schneidet hier bei Studien regelmäßig besser ab als Berlin oder andere unter Künstlern beliebte Städte, wie Portland oder Istanbul.

Concept Stores, Galerien, Co-working Spaces und Kreativagenturen entstehen im alten Zentrum entlang des Sava Flussufers und in Richtung der Donau. Künstler, Bastler und Hacker sind die Pioniere. Milos Rancic, Gründer des Hacklab Belgrad am Rande des Stadtzentrums, führt das Interesse von jungen Serben an Computercode auf Erfinder Nikola Tesla zurück. Rancic arbeitet schon seit über zehn Jahren an freien Software-Projekten. „Alle wollen hier mindestens so erfinderisch sein wie Tesla“, sagt er, nimmt einen Schluck von seinem Energy-Drink und zündet sich noch eine Davidoff Zigarette an.

500 participants from 184 cities.

Maria Jelesijević, eine bildende Künstlerin, und Filip Visnjic, ein Architekt, der in London lebt und arbeitet, hatten vor 3 Jahren die Idee, Code-Künstler aus der ganzen Welt in Belgrad zu versammeln. Das Ergebnis ist Resonate, ein Festival mit 500 Teilnehmern aus 184 Städten. Die Tickets sind schon seit Monaten ausverkauft.

I. Code Bohème

Die Tische sind mit Laptops, Kabeln, Klebeband und Computerplatinen bedeckt. Bunte Joggingschuhe bahnen sich ihren Weg durch enge Treppenhäuser. In Vorlesungssälen wird eine Mischung aus digitalen Spielen, Performances, Datenvisualisierungen, interaktiven Installationen und Künstliche Intelligenz Projekten präsentiert. Der Medienkunst-Zirkus hat seine Zelte in Belgrad aufgeschlagen.

Manche Teilnehmer sind schon ein paar Tage vor der offiziellen Eröffnung gekommen. In Workshops beschäftigen sie sich mit Gesichts-Manipulation, Lichtinstallationen und algorithmischer Kunst. Oft kennen sie sich schon von gemeinsamen Projekten oder ‘Hackathons’, die aber selten länger als ein paar Tage dauern. Die Medienkunst-Szene ist klein. Nur wenige Informatiker arbeiten mit der Software, die Code-Künstler entwickeln. OpenFrameworks, Cinder und vvvv sind exotische Werkzeuge, sogar für erfahrene Programmierer. Beim Resonate Festival kennt sie jeder. Künstler benutzen sie um Licht, Ton oder visuelle Bildschirm-Elemente zu kontrollieren und Interaktionen mit dem Publikum oder physischen Objekten zu coden. Ihr Lieblingsspielzeug sind Arduinos. Das sind programmierbare Mini-Kontroller, die Sensoren mit Lampen, Motoren oder Musikinstrumenten verbinden.

Wir basteln normalerweise so drei Wochen an unseren Kunstprojekten. Dann kommen die Leute und machen sie kaputt.
Douglas Edric Stanley, Professor für Digitale Kunst, Aix-en-Provence

Die Teilnehmer erwähnen immer wieder ein Video von Daito Manabe, in dem der Japaner sein Gesicht computergesteuert zu Musik tanzen lässt. Manabe will ein Gerät entwickeln, das Gesichtsausdrücke von einem Gesicht in ein anderes übertragen kann. Für die ersten Testversuche klebt sich Manabe myoelektrische Sensoren, die normalerweise für medizinische Zwecke verwendet werden, ins Gesicht und benutzt elektrische Impulsgeneratoren, um seine Gesichtsmuskeln automatisch zur Musik zu bewegen.

Daito Manabes Performance „Face Visualizer“

Der technologische Forschritt und die Entwicklung von neuen Geräten ändern andauernd die Rahmenbedingungen für Medienkünstler. Es entstehen neue physische und digitale Materialien und soziale Veränderungen, die ihre Arbeit reflektiert. Google Glass ist auf dem Resonate Festival nicht zu sehen. Die Künstler verabscheuen die Privatsphäre zerstörenden Eigenschaften der Computerbrille. Dennoch sind die meisten besessen von Daten. Je mehr von Sensoren eingefangen wird, desto mehr Rohmaterial für datenbasierte Kunst entsteht. Manche haben Apps auf ihren Telefonen, die jeden ihrer Schritte aufzeichnen. Grafiker Nicholas Felton veröffentlicht sogar ‘Persönliche Jahresberichte’, die seine täglichen Routinen visualisieren und sein Leben in Schaubildern widerspiegeln.

II. Open Source Kunst

Viele Medien-Künstler arbeiten open-source. Das heißt sie veröffentlichen den Quelltext ihrer Werke und erlauben anderen auf ihrer Arbeit aufzubauen - oft sogar bevor die Projekte beendet sind. Sie arbeiten mit Programmiersprachen und Werkzeugen, die sie gemeinsam entwickeln. Resonate Festival ist keine Ausstellung oder Kunstmesse. Das offene Format und der Raum für künstlerisches Arbeiten erinnern eher an eine universitäre Veranstaltung.

Kyle McDonald, Daito Manabe und Klaus Obermaier sitzen auf der Bühne hinter einem Tisch aus überdimensionierten bunten Bauklötzen. Die Künstler haben gerade ihre code-basierte Perfomance ‘Transcranial’  vorgestellt, die Tanz, Verzerrung von Körperteilen, und Manabes erwähnte Elektroimpulse vermischt. Sie zeigen Fragmente, die sie zu dem Stück inspiriert haben. Dazu gehört das Video eines Reporters, dem vor laufender Kamera mit einem Magneten das Sprachzentrum abgeschaltet wird.

Sie zeigen auch den Quelltext des Stückes. Am Ende ihrer Präsentation projizieren sie einen Link auf die Leinwand, über den jeder auf den Code zugreifen kann. Eine Einladung in das kreative Bewusstsein der Künstler.

Danke, dass Ihr unseren Code repariert und danke, dass Ihr keine Fehler einbaut, die den Leuten das Gehirn zerstören.
Kyle McDonald, F.A.T., New York

McDonald ist sogar bereit für weniger Geld zu arbeiten, so lange man ihm erlaubt, seinen Code mit der Welt zu teilen. Er ist Mitglied des Free Art and Technology Lab, eines kleinen Künstlerkollektives, das lizenzfreie Popkultur produziert und das Urheberrecht kritisiert.2012 hat Rachel Wolff, Kunstkritikerin im New York Magazin, aufstrebenden Künstlern empfohlen „Kunst zu machen, die man nur schwer sammeln kann“. Die Medienkunst Bohème folgt diesem Rezept peinlich genau.

III. Marktkräfte

Auf dem globale Kunstmarkt werden jedes Jahr etwa 70 Milliarden Dollar umgesetzt. Nur ein verschwindend kleiner Teil davon ist Medienkunst. Die ersten Computerkunst-Ausstellungen fanden in den 1960er Jahren statt. Die erste große Medienkunst-Versteigerung erst im Herbst 2013. Phillips, eines der großen Versteigerungshäuser, hat sie veranstaltet. Die 20 angebotenen Stücke brachten aber nur die bescheidene Summe von 90.000 Dollar ein. Sogar Gemälde von Newcomer-Künstlern in den „zugänglicheren“ Versteigerungen des Unternehmens verkaufen sich leicht für das doppelte. Ein Banksy kostet auch schon mal 500.000 Dollar.

Die Medienkunst Bohème veröffentlicht ihre Kunst und deren Code online. Die Regeln des Kunstmarktes interessieren sie nicht. Sie wollen zunächst einmal Aufmerksamkeit. Kunstsammler suchen Knappheit und Exklusivität. Aber auch Medienkünstler müssen ihre Miete bezahlen. Wenn ein Sammler Interesse an einem im Netz veröffentlichten Kunstwerk äußert, willigen manche ein, es offline zu stellen. Wutang Clan haben diese Idee zu Ende gedacht. Sie verkaufen nur eine Kopie ihres neuen Albums.

Medienkünstler sind die unbezahlte Recherche- und Entwicklungsabteilung der Werbeindustrie
José Luis de Vicente, Kulturforscher, Barcelona

Andreas Müller, ein Künstler aus London, packt vier schwarze Kisten zusammen auf denen „Oculus Development Kit“ steht. Der Inhalt der Kisten sieht aus wie zu groß geratene Skibrillen mit einem eingebauten Bildschirm im Sichtfeld. Er hat gerade seinen Workshop zu ‘Oculus Rift’ beendet, einer so genannten Virtual-Reality-Brille dessen Hersteller vor Kurzem für 2 Milliarden Dollar von Facebook übernommen wurde. Die Gründer von Oculus hatten anfänglich einen Aufruf auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter veröffentlich, mit dem Ziel, 250.000 Dollar Startkapital einzusammeln. Sie bekamen zehn mal so viel zusammen. Einige der Resonate-Teilnehmer haben Ähnliches für ihre eigenen Produkte erreicht - dazu gehören ein gedrucktes Magazin namens HOLO (70.000 Dollar Kampagneneinnahmen) und NeoLucida (424.000 Dollar), ein Prisma mit Halterung, das realistisches Zeichnen vereinfachen soll.

Resonate Teilnehmer bei der Arbeit mit Computerplatinen ⁞ © Resonate

Wäre Resonate ein Musikfestival, Aaron Koblin wäre der Hauptact. Die Organisatoren lassen ihn als letztes reden. Sein TED-Talk von 2011 wurde über 1 Million mal angeschaut und seine Arbeiten wurden schon im MoMa in New York und im Centre Pompidou in Paris gezeigt. Aaron Koblins regulärer Job ist bei Google. Er arbeitet da als Direktor des Datenkunst-Teams. Er macht Datenvisualisierungen und Crowdsourcing Projekte, zum Beispiel mit Hilfe von ‘Mechnical Turk’. Das ist eine Plattform von Amazon auf der Arbeiter einfache digitale Aufgaben gegen geringe Bezahlung erledigen.

In Anlehnung an Saint Exupérys Kleinen Prinzen nutzt Aaron Koblin Amazon Mechnical Turk, um handgemalte Schafe zu sammeln. Ein Schaf kostet ihn 2 Cent. 7599 haben das Arbeitsangebot angenommen, bei einem durchschnittlichen Stundenlohn von etwa 69 Cent. Nur einer von ihnen fragte in mit der Computermaus gemalten Buchstaben: „Warum? Warum machst Du das?“

Gifpop hat es mir ermöglicht, meinen ganz speziellen Mangel an Geschmack und mein abstoßendes ästhetisches Urteilsvermögen in die Welt der bildenden Künste zu tragen
Lorna Mills, internet artist, New York

Rachel Binx und Sha Hwang haben früher Daten für eine Agentur visualisiert. MTV und Oprah Winfrey gehörten zu ihren Kunden. Dann haben sie gekündigt und Meshu gegründet. Meshu ist ein Online-Shop für maßgefertigten Schmuck. Die Form der angebotenen Ohrringe oder Anhänger basiert auf einer Karte mit Punkten, die der Käufer selbst auswählt. Ein Exemplar aus Bambus oder Metall kostet ab 80 Dollar. Ihr neues Unternehmen verwandelt Gifs von digitalen Artefakten in physische Objekte. Bei Gifpop, so der Name des Projekts, werden Gif-Dateien nach dem sogenannten Linsenrasterprinzip auf Plastikkarten gedruckt. Heraus kommen Wackelbilder, die ihr Aussehen ändern wenn man sie hin- und her kippt (25 Dollar pro Karte).

Mittlerweile sind die beiden sogar zu Gif-Galeristen geworden. Sie stellen online Gif-Dateien aus und bieten sie auf Wackelkarten zum Verkauf an. Die Profite werden im Verhältnis 80 zu 20 geteilt - zugunsten des Urhebers. „Künstler für ihre Arbeit zu bezahlen ist ein gutes Gefühl,“ sagt Binx mit einem breiten Grinsen, „Ich liebe es, Leuten Schecks auszustellen.“ ▪

Anschauen!
Wir haben beim Resonate viel Inspirierendes gesehen. Hier ist eine Liste unserer Lieblingsprojekte.